Mutters Reise zum Rudolfsturm

In den letzten Jahren wandere ich gerne zu “Orten meiner Vergangenheit”, wo ich vor 10 bis 15 Jahren wohnte oder arbeitete.

Dieses Wochenende durfte ich miterleben, wie es ist nach 50 Jahren einen bekannten Ort wieder zu erleben.
Ich durfte Einblick nehmen, wo meine Mutter einen Teil ihrer Jugend verbrachte.


Durch ein Ferialjob verschlug es meine Mutter vor 50 Jahren nach Hallstatt in den Gastbetrieb am Rudolfsturm. Und seit vielen Jahren hörte ich sie von dieser schönen Jugenderfahrung schwärmen.
Es wurde also höchste Zeit, dass wir dem Turm am Berg hoch über dem Hallstätter See einen Besuch abstatten.

Als Reisemuffel fürchtete ich vor allem die Anfahrt mit dem Auto und mein Talent mich heillos zu verfahren. Doch wenn man es auf die A1 schafft (und zu der findet man in Niederösterreich immer), dann kann man die Abfahrt bei Regau nach Gmunden, Bad Ischl, Bad Goisern und Hallstatt eigentlich gar nicht verfehlen.
Und so gelang die Anreise zielgenau auf Anhieb und ohne Einsatz eines Navigationsgerätes oder Smartphones (und auf so etwas bin ich heutzutage stolz!).

Der geplante Kurzurlaub sollte nur zwei Tage (also eine Übernachtung) dauern. Eine wirklich preiswerte und schöne Unterkunft fanden wir Bad Goisern, das nur wenige Kilometer vor Hallstatt entfernt liegt.

Auf nach Bad Goisern und Hallstatt

Als wir uns nach dem Mittagessen in Bad Goisern gleich zum Ziel aufmachten, konnten wir live miterleben wie unglaublich überlaufen Hallstatt inzwischen ist. Alle großen Parkplätze war voll und gesperrt. Nur gelegentlich wenn andere Touristen aufbrachen und ein Stellplatz frei wurde, öffnete sich kurz die Pforte um den einen freien Platz gleich wieder auszufüllen.

Das Gerücht: “Hallstatt sei in Asien bliebt” ist eine Untertreibung.
Man hatte eher den Eindruck: “In China kann es jetzt keine Chinesen mehr geben”. Tatsächlich waren die Straßen und Gassen voll mit Touristen aus Asien und jede halbe Stunde kam ein neuer Bus an, der weitere Besucher brachte. Doch eines steht auch fest: So fließt jede Menge Geld in die kleine Stadt.

Mutter erkannte den Ort Hallstatt kaum wieder, da (wie in solchen Touristenhochburgen üblich) ein Souveniergeschäft dem anderen folgte. Das war vor 50 Jahren noch ganz anders.

Doch in einer hinteren Seitengasse trafen wir dann auf zwei einheimische ältere Damen und ich konnte mitverfolgen, wie Mutter im Gespräch mit den beiden wieder jung wurde.
Ja … vieles hat sich verändert seit damals und aus der keinen Dorfgemeinschaft wurde ein Tourismuszentrum. Doch auch wenn die Anwohner den extremen Ansturm nicht immer genießen, so haben sie besonders in der Pandemie festgestellt, wie wichtig dieser Zustrom ist und folglich schätzen sie die Gäste auch.

Stets im Blickfeld war die Bergbahn, die zum Rudolfsturm führte, doch diesen wollten wir erst am zweiten Tag besuchen.
So streiften wir noch kurz durch die Straßen und machten uns am Abend auf zur Herberge, wo wir mit Blick auf die umgebenden Berge am Balkon über das Gesehene diskutierten.

Der Rudolfsturm

Nach einem köstlichen Frühstück um 8:00 fuhren wir sogleich von Bad Goisern nach Hallstatt um pünktlich um 9:00 Uhr bei der ersten Bergfahrt dabei zu sein. Die Strategie war gut, denn am Morgen waren noch die Hälfte der Parkplätze frei.

Mutter erzählte von einer Seilbahn mit 4 Plätzen, die permanent gegengleich zwei Kabinen zwischen Berg und Tal hin und herbewegte. Täglich musste sie so mit anderen Dienstmädchen Verpflegung zum hoch gelegenen Rudolfsturm bringen.

Heute fahren zwei Bergbahn-Gondeln auf Schienen den gleichen Weg, können aber wesentlich mehr Personen transportieren. Es finden etwa 15 Personen darin Platz und alle 15 Minuten beginnt eine neue Fahrt.

Hallstatt-Salzbergbahn

Direkt neben der Bergbahnstation liegt auch der Rudolfsturm, doch diesen hoben wir uns fürs Mittagessen auf.

Wir folgten dem Wanderweg bergauf, der zur Salzmine führte. Im dortigen Haus (damals als Salinenhaus bekannt) war nämlich das Personal des Rudolfturms untergebracht und so gingen wir genau den Weg entlang, den Mutter mit ihren Kolleginnen täglich hin und herlaufen mussten.
Man merkt, dass die steile Strecke im Alter anstrengender ist … doch die Umgebung mit den blühenden Wiesen und der kühlen Bergluft machten diesen Spaziergang zu einem schönen Nostalgieerlebnis.

Beim Salinenhaus angekommen rasteten wir auf einer der Bänke. Und während andere Touristen in die Salzmine drängten, erfuhr ich manch lustige Geschichte von damals, als diese Gegend nur von einigen Arbeitern aufgesucht wurde.

Hallstatt-Salinenhaus

Beim Rückweg zum Rudolfsturm trafen wir dann unverhofft auf das Highlight des Tages: Einen Archäologen.
Der “Kerl” war mit seinem Team in einem der dort angrenzenden Häusern untergebracht und in einem zufällig gestarteten Gespräch, erzählte er uns, wie er mit seinen Kollegen Grabungen vornahm und welche Schätze im reichen Ort Hallstatt bereits gefunden wurden.

Es war beeindruckend einem Fachmann gegenüberzustehen, dem man die Bewunderung für die Hallstätter Kultur und deren Geschichte in jedem Satz anmerken konnte. Und es ist auch beeindruckend zu erfahren, wie bereits Menschen in der Steinzeit die Orte bewohnten und bebauten, die wir heute zur Sommerfrische nutzen.

Pünktlich zur Mittagszeit waren wir wieder zurück beim Rudolfsturm und nachdem Mutter damals unzählige Gäste dort hatte bewirten dürfen, so wurden wir an diesem Tag ebenso hervorragend verköstigt.

Mutter bemerkte schnell, dass dem Turm ein Gebäudeteil fehlte und so fanden wir im Internet den Bericht, dass um 2007 der hintere Teil unter Schneedruck eingestürzt war und das Anwesen umgebaut wurde. Die heutige hintere offene Terrasse, auf der wir zu Tisch saßen war früher ein geschlossener Speisesaal.

Ein besonderes Highlight war außerdem, dass wir die Erlaubnis erhielten, kurz einen Blick in die oberen Räume werfen zu dürfen.
Damals waren dort Gästezimmer für Besucher vorhanden, heute sind diese offen und eine Erweiterung des Gastronomiebereiches.

Die Möblierung hat sich vollständig geändert … und doch sind einige Teile wie die Holzverkleidung an den Wänden und Ecken offenbar noch im Original erhalten.

Hallstatt-Rudolfsturm

Eine schöne Erinnerung

Zu meinen größten Freuden dieses Jahr wird ganz bestimmt dieser Besuch in Hallstatt zählen, denn ich habe meine Mutter schon lange nicht mehr so “jung” lachen gesehen.
Ich konnte in ihren Augen sehen, wie wichtig solche Fixpunkte im Leben sind und wie unglaublich schön es ist, wenn solche alte Erinnerungen wieder lebendig werden.

Aus einem:

Naja, warum nicht mal dorthin, wo du früher schon mal warst.

wurde unerwartet ein Besuch einer der schönsten Flecken unseres Landes und gleichzeitig eine Erinnerung voller Freuden, die ich selbst zwar nicht erlebt habe, aber trotzdem habe ich sie nun gespürt.

Die Heimreise wurde bereichert von einem sonnigen Panorama zwischen Ober- und Niederöstereich und wurde untermalt von einem langen Gespräch über Gott, die Welt, Liebe und Leben … und der schönen Zeit in Hallstatt.

Fazit

Auslöser für diese Reise war eine Mappe mit Erinnerungsfotos und Zeichnungen, die meine Mutter vor 50 Jahren angelegt hat.
Diese Mappe lag die ganze Zeit in einer Lade im Wohnzimmer.

Und vor einigen Wochen, als sie zufällig geöffnet wurde, bildete sie plötzlich einen Anker in die Vergangenheit, die Mutter und mich an diesen Ort und in diese Zeit zurückgeführt hat.

Ich habe daraus gelernt, dass es solche “kleinen Dinge” sind, die später eine ungeahnt große Wirkung haben können. Ein “gutes Foto” kann die Erinnerungen an einen Ort, ein Ereignis, einen Freund aufleben lassen, auch wenn das Original inzwischen verblasst ist.

Wir hätten die teuersten Konzert- oder Theaterkarten haben können, im luxoriösesten Palast dinieren können … aber nichts wäre so schön gewesen, wie auf der Bergbank zu sitzen und einfach nur über die Vergangenheit zu reden.

Und am Ende war es ein Blatt Papier, das ein Portal in diese andere Zeit geöffnet hat, ganz ohne Technik, Kabel und Spezialeffekte.