Hamster Kolonien in Wien
« | 03 Jun 2021 | »Normalerweise erlebt man Tiere in Wien nur streng gesittet als Hunde an der Leine oder als Katzen hinter Fenstergittern in den Wohnungen. Ein paar Leute halten sich noch ein Meerschweinchen oder einen Vogel im Käfig (… oder sind mit einem verheiratet), aber das war es “in der Großstadt” somit auch schon, wenn man nach Tieren sucht.
OK … es gibt jede Menge Tauben in den Gassen, aber die zählen hier nicht wirklich, und die Exoten im Tiergarten lassen wir auch mal weg.
Aber fast niemand kennt die riesige Hamsterkolonie, die einen besonders schönen Fleck mitten in der Stadt buchstäblich untergraben hat.
Ein paar hundert Meter vom Meidlinger Bahnhof entfernt liegt mitten im 12. Bezirk der lokale Friedhof. Während auf den angrenzenden Straßen der übliche Verkehr tobt, schützen Bäume, Hecken und Sträucher ein eigentlich recht großes grünes Areal, auf dem viele Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Neben teuren Obelisk-artigen Riesengrabstätten der ehemaligen High-Society, liegen auch zahlreiche, oft schon stark verfallene Gräber, Grabsteine und Kreuze aus früheren wie auch aus aktuellen Zeiten.
Es mag makaber klingen, doch ein ruhiger Spaziergang durch eben diesen Friedhof wirkt auf mich stets entspannend und ist ein wohltuenderer Zeitvertreib, als durch diverse Parks zu schlendern.
Einen ganz besonderen Aspekt hat dieser Friedhof, wie ich es sonst noch
nie erlebt habe:
Er beherbergt eine große Anzahl von Feldhamstern, die in den Gräsern
zwischen den Gräbern nach Nahrung suchen.
Man stößt auf diesem Friedhof zwangsläufig alle 5 Meter auf ein kleines Loch im Boden, wo eine Hamsterfamilie wohnt und alle paar Minuten huscht einer der kleinen Fellgesellen aus einer der Bodenöffnungen und durchstöbert die Umgebung.
Da zwischen den Gräbern immer wieder größere begraste Grünstreifen verlaufen, finden die niedlichen Vierbeiner jede Menge Pflanzen und Körner vor, die sie vernaschen können. Auf Gräberdekorationen, die Hamstern schmecken könnten, sollte man auf diesem Friedhof daher eher verzichten.
Die Hamster haben sich vermutlich schon sehr an die auf dem Friedhof die Gräber besuchenden Menschen gewöhnt und nehmen kaum Notiz von ihnen.
Wenn man sich ihnen jedoch nähert wird man zuerst mit großen Augen gemustert. Aber sobald man sich auf 3 Meter anpirscht, beschließen sie zumeist das Weite zu suchen.
Doch, wenn man ruhig stehen bleibt und die kleinen Nager freundlich anlächelt, passiert manchmal etwas Besonderes, so wie ich es neulich erleben durfte:
Langsam und vorsichtig kommen sie näher und beschnuppern behutsam die Schuhe, blicken dann freundlich nach oben zu dessen Besitzer und laufen dann gemütlich weiter um wieder nach etwas Essbarem zu suchen.
Schade, dass ich bei diesem Ereignis keine Kamera parat hatte, aber das Zücken des Smartphones hätte den kleinen Freund vermutlich verschreckt.
Fazit
Und so geht wieder ein äußerst schöner Tag vorbei, an dem ich am Friedhof einen neuen Freund kennenlernen durfte, der dort mit seiner Familie vielleicht schon länger dort lebt, als ich selbst in Wien wohne.
Nun denke ich mir wieder, in was für einer schönen Stadt ich leben darf, in der wenige hundert Meter weiter die neuesten Technologien am Werk sind, und wo gleichzeitig eine Hamsterkolonie so lebt, wie vor hunderten von Jahren, als der gesamte Grund dort Felder waren und Wien nur ein Städtchen mit der Ausdehnung des heutigen ersten Bezirks war.
Ich sollte mal weitere Spaziergänge machen. Vielleicht verbergen sich noch andere Naturreservate hinter den Gassen, die man so in der Großstadt gar nicht erwarten würde.
Nachtrag: Besuch im September
Und wieder kam ein Grabbewohner angelaufen, grüßte freundlich und zog sich dann wieder zurück.