Schneller als das Licht

Und wieder mal eine Predigt zur beobachteten Lage:

Der von mir hoch geschätzte Professor Harald Lesch nennt in seinen kritischen Vorträgen zu Wissenschaft und Gesellschaft stets das Problem der Lichtgeschwindigkeit in unserem Alltag.

Die Tatsache, dass wir als langsam herumschlendernden Geister uns einbilden, die Welt mit Hilfe der Technik immer schneller drehen zu müssen, stößt nicht nur physikalisch an Grenzen …


Oft genug habe ich mich darüber ausgelassen, dass die Qualität in der Software Entwicklung zum Vergessen ist. Anstatt von durchdachten Konzepten, stehen billige UI-Blinkereien auf den Wunschlisten der Auftraggeber. Kosten soll das alles natürlich möglichst wenig und fertig sein soll es am besten gestern.

Kein Wunder also, dass es inzwischen keine App und kein Portal mehr gibt, das nicht jährlich einmal zusammenbricht. Doch das Marketing hat inzwischen alle davon überzeugt, “dass das eben so ist” und “100% geht einfach nicht”.

Das Problem mit der Schönheit

Ein andere geschätzte Größe in der Wissenschaft, Sabine Hossenfelder hat das Problem in der Physik und Mathematik bildlich für Menschen wie mich dargestellt:

Wir suchen nicht nach der Wahrheit, sondern nach dem, was uns gefällt.

Es mag nicht direkt vergleichbar sein, aber ähnlich oberflächlich verhält es sich bei uns in der Software-Entwicklung. Wir behaupten zwar immer vorwärts kommen zu wollen, laufen dabei aber einem Trugbild hinterher und bemerken dabei gar nicht, dass wir immer wieder an teils offensichtlichen Problemen scheitern.

Der Aufbau vieler Compiler und Programmiersprachen wurde in der Theorie vor über 60 Jahren durchgedacht. Heute kommt jedoch alle 5 Jahre eine neue sich selbst als Universallösung bezeichnende Sprache, die mit den gleichen Kinderkrankheiten startet, wie ihre Vorgänger. Kaum sind diese gelöst, wird sie durch die nächste Generation abgelöst, die wieder die gleichen Fehler macht.

Viele davon vereint das Motto:

Mein Ansatz ist ‘schöner’ als der von anderen.

Und sogar einfachste Ideen wie “Dialoge” wiederholten ihre Adoleszenz von TUI zu GUI und nun zum Web aufs Neue.

Entschleunigung mit Nachdenken

Warum muss also alles so schnell gehen, dass sich jeder nur noch durch Abkopplung (wie z.B. Forks) in seinem Fortschritt ermutigt sieht?

Wäre es nicht sinnvoller mal ein Jahr nachdenklich über die Gesamtsituation zu grübeln und um dann die bestehenden Lösungen zu erweitern?

Die Frage muss ich mir auch kritisch selbst stellen, schließlich komme ich ja auch nicht mit den vielen Entwicklungssträngen klar und kann mich nur noch durch Eigenlösungen entschlagen.

Lieber hätte ich aber, dass die Standardisierungs-Gremien und Konzerne offener und langfristiger planen würden. Gute Lösungen brauchen nun mal Zeit. Und der C++11 Standard hat mit seiner langen Planungszeit folgendes aufgezeigt:

  • Positiv: Man kann ein stabiles Set an Funktionen auswählen und bereitstellen, mit dem man länger glücklich ist ohne sich die Zukunft verbaut zu haben.
  • Negativ: Abwarten wollte aber keiner und so wurden tonnenweise Projekte mit boost::thread::interrupt() und ähnlichen Grässlichkeiten verseucht, womit wir wieder jahrelang mit Bugfixes beschäftigt sind, anstatt echte Innovation umzusetzen.

Überforderung

Und tut der Stress von andauernden Änderungen der Menschheit gut? Nein, im Gegenteil. Das andauernde Gezerre, man müsse morgen wieder alles anders machen, hat inzwischen ausreichend viele Menschen verschreckt, so dass nun die politisch tugendlosesten Kräfte ihre Renaissance erleben.

Wieso laufen stetig mehr Menschen den Schreiern nach Revolution und Gewalt hinterher? Weil diese immer mit der erfundenen hohen Moral von gestern und den guten alten Zeiten argumentieren. Sie zeichnen ein Bild einer stillen, einer ruhigen Welt, einer beruhigenden Welt, die jede Änderung als Bedrohung ansieht.

Und das wünschen sich viele … endlich mal wieder mit “normalen” Geschwindigkeiten zu leben.

Das Kratzen an der Lichtgeschwindigkeit mag technisch beachtlich sein, aber wir einfachen Menschen stoßen schon bei Schall und Rauch an unsere Grenzen.

… und … da sollten wir mal darüber nachdenken … sollte ich auch mal darüber nachdenken … ob nicht viel Unheil dadurch verhindert wird, wenn man (wie Harald Lesch auch einmal meinte) einfach mal NICHTS tut.

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Wenn sich eine triviale Erkenntnis mit Dummheit in der Interpretation paart, dann gibt es in der Regel Kollateralschäden in der Anwendung.
frei zitiert nach A. Van der Bellen
... also dann paaren wir mal eine komplexe Erkenntnis mit Klugheit in der Interpretation!